Interview mit dem bekannten Mediziner Dr. Kurt Blaas
Der Allgemeinmediziner Kurt Blaas führt seit 20 Jahren seine Ordination in Wien. Er beschäftigt sich in seinem Wirken als Arzt ausführlich mit dem Thema Cannabismedizin und hat dazu auch ein Buch verfasst.
BioBloom: Wo werden die Inhaltsstoffe der Hanfpflanze bereits in der Medizin eingesetzt?
Dr. Blaas: Die Cannabismedizin ist ein weites Feld. Außer der Schmerzmedizin, der Behandlung von neurologischen Erkrankungen, wie zum Beispiel dem Tourette-Syndrom, Parkinson Erkrankung oder Multiple Sklerose gibt es auch noch andere Diagnosen aus dem psychiatrischen Bereich. Hier kommt Cannabis bei der Behandlung von Depressionen, ADHS, PTBS, aber auch neuerdings bei Schizophrenie und komplexen psychischen Störungen wie Angst und Paniksyndromen zum Einsatz. In der internen Medizin wird die Cannabismedizin oft mit rheumatoiden Erkrankungen, Morbus Crohn als Autoimmunreaktion, oder der Fibromyalgie in Verbindung gebracht. Auch viele Patienten mit Krebserkrankungen suchen immer mehr die Hilfe in hochdosierten CBD Produkten.
BioBloom: Dennoch ist die Akzeptanz der Hanfpflanze in der Medizin noch nicht besonders ausgeprägt.
Dr. Blaas: Die Hanfmedizin ist eine sehr junge Wissenschaft. Ihre Grundpfeiler wurden in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen, wo die Cannabisrezeptoren und darüber hinaus bis an die 120 Cannabinoide entdeckt wurden. Um ein eindrucksvolles, medizinisch-wissenschaftliches Fundament zu schaffen, hat man sich vorwiegend mit den zwei wichtigsten Vertretern, THC und CBD, beschäftigt. Diese beiden Substanzen wurden auch chemisch sehr genau beschrieben und darauffolgend im medizinischen Einsatz in vielen Studien publiziert, wie zum Beispiel CBD und Dravet-Syndrom oder der Einsatz von CBD bei Angst und Panikattacken.
BioBloom: In Österreich gibt es als Arzneimittel Dronabinol (Anm. reines Delta-9- Tetrahydrocannabinol-THC), der Einsatz von Vollextrakten ist unter Medizinern und Pharmazeuten umstritten. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Blaas: Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage bei allen Diagnosen, von denen wir überzeugt sind, dass Cannabinoide helfen können, diese auch zu verschreiben. Ich selbst erlebe es sehr häufig in meiner Praxis, dass Patienten, die auf das Medikament Dronabinol eingestellt sind, zu mir in die Sprechstunde kommen und mir zu verstehen geben, dass natürliche pflanzliche Produkte mit einer Vielzahl an Cannabinoiden komplexere Wirkungen entfalten können und somit adäquatere Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Es sind circa 30-40% der Patientenschaft, die diese Meinung vertreten. Sie legen häufig das verschriebene, leicht erhältliche und rechtlich unbedenkliche Medikament zur Seite und bauen selbst Hanfpflanzen an oder importieren unüberprüfte Extrakte oder Öle aus dem Ausland. Viele von Ihnen begeben sich mit einem Fuß in die Illegalität. Ein Zustand, der in einer Medizin des 21. Jahrhunderts bei aufgeklärter Patientenschaft nicht existieren dürfte.
BioBloom: Die Hanfpflanze wurde ja kürzlich zur Arzneipflanze des Jahres 2018 gekürt. Kritisiert wurde daran, dass die pharmazeutischen Experten nur Reinsubstanzen empfehlen. Wie sehen Sie die Auszeichung?
Dr. Blaas: Nicht verschwiegen werden soll, dass es natürlich aus statistischer sowie empirischer Sicht viel leichter ist Nachweise über die positive Wirkung der Monosubstanzen (THC und CBD) zu erbringen, als dies bei der Untersuchung von komplexen pflanzlichen Organismen (Cannabis Flos) mit einer großen Anzahl von Inhaltsstoffen der Fall ist. Unabhängig pharmakokinetischer Wirkweisen einzelner Monocannabinoide wäre es durchaus möglich kontrollierte Studien unter Verwendung eines Vollextraktes oder von standardisierten Blüten durchzuführen. Aber aus politischen, rechtlichen als auch wirtschaftlichen Gründen wird die Verwendung von Vollextrakten und natürlichen Pflanzenprodukten vorwiegend in Ländern außerhalb Österreichs durchgeführt.
BioBloom: Der Einsatz von Vollextrakten in der Medizin ist aus Ihrer Sicht also begrüßenswert?
Dr. Blaas: Etablierte Forscher aus dem Bereich der Cannabismedizin wie Ethan B. Russo setzen sich offiziell für die potentielle Cannabis-Synergie und den „Phytocannabis-Terpenoid-Entourage-Effekt“ ein. Er untersucht in seinen neuesten Forschungsarbeiten die praktische Anwendung von pflanzlichen Cannabinoiden. Er sieht einen eindeutigen Zusammenhang zwischen speziellen Krankheiten und der komplexen Wirkung spezifischer Cannabissorten. Es wird dabei die Pflanze in Ihre einzelnen Bestandteile (Cannabinoide, Terpene, Flavinoide, uvm.) zerlegt und deren spezielle Wirkung den jeweiligen Diagnosen und Erkrankungen zugeordnet. Ähnlich arbeitet auch der israelische Biologe und Forscher David Meiri vom Technion-Israel Institut für Technologie. Er propagiert in seiner Forschung eine äußerst effektive Wirkung von pflanzlichem Cannabis bei der Zerstörung spezieller Tumorzellen. Das stellt allerdings keine neue Erkenntnis dar. Bereits die klinische Metastudie von Franjo Grotenhermen und Arno Hazekamp aus dem Jahre 2016 zeigt uns auf, dass von den 32 kontrollierten Hanfstudien, acht ausschließlich mit natürlichen Hanfpräparaten in oraler, aber auch in inhalativer Form mit großem Erfolg an mehreren hundert Patienten durchgeführt wurden.
BioBloom: Was wünschen Sie sich für die Hanfpflanze in der Medizin?
Dr. Blaas: Wir in der Hanfmedizin dürfen nicht überheblich sein und jeden Patienten von einer Monotherapie mit Cannabinoiden überzeugen. Eine Kombinationstherapie mit zum Teil schulmedizinischen Präparaten und der Hanfmedizin kann durchaus äußerst erfolgreich sein. Viel eher müssen wir als Ziel dem Patienten eine breite Palette von Behandlungsmöglichkeiten in unterschiedlichster Form anbieten können. Wir sollten auch immer versuchen eine ganz individuelle, persönliche, nahezu maßgeschneiderte Therapielinie für jeden einzelnen Patienten zu finden. Hier kann für den Einen die Monosubstanz THC hilfreich, für den Anderen aber ein Hanfextrakt, oder die Blüte selbst mit hohem CBD Gehalt, Gesundheitsförderung bringen. Grundsätzlich gilt für mich: In der Blüte liegt die Güte, in der Blüte liegt die Kraft!“